Der kleine Unterschied, die Medizin und die Pharmawerbung

Der Mann ist die Norm in der Medizin, und die Frauen sind die Stiefkinder. Der Großteil aller klinischen Studien bei der Erprobung von Arzneimitteln wird mit männlichen Probanden durchgeführt. Die medizinische Versorgung von Frauen ist oft schlechter als die von Männern, weil selten beachtet wird, dass Frauen anders krank sind und deshalb anders behandelt werden müssen. Am Herzinfarkt, bisher fast ausschließlich als Männerkrankheit eingestuft, sterben vor allem Frauen, weil er bei ihnen zu spät erkannt wird. Der Mann bildet folgerichtig auch die Norm für die Pharmawerbung. Betrachtet man etwa die Anzeigen für verschreibungspflichtige Medikamente in den Ärztezeitschriften, so sieht man in 90 Prozent der Fälle Männer in den besten Jahren abgebildet. Es dominiert die Farbe Blau, und es werden Metaphern eingesetzt, die Kraft, Schnelligkeit, Vitalität vermitteln (Stier, Meer, Motorboot).

Die auf Pharma-Kommunikation spezialisierte Agentur Angela Liedler hat diesen uniformen Werbestil seit geraumer Zeit beobachtet und daraus die Frage abgeleitet, ob nicht nur die Medizin, sondern auch die Pharmawerbung weiblicher werden müsse?

Wir haben im ersten Schritt mit Mitteln der systemischen Kommunikationsforschung überprüft, ob bei den Ärzten – als Adressaten von Kommunikationsmaßnahmen der Hersteller verschreibungspflichtiger Medikamente – überhaupt ein Problembewusstsein bezogen auf die Thematik Frauen- und Männergesundheit ausgebildet ist.

Der überraschende erste Befund: Obwohl das Thema aktuell durchaus in der Fach-Community diskutiert wird, betonen die befragten Ärztinnen und Ärzte, dass Patientinnen und Patienten grundsätzlich gleich seien und gleich behandelt würden. Geschlechtsspezifische Unterschiede werden erst einmal negiert und andere Unterscheidungen in den Vordergrund gerückt, zum Beispiel Unterschiede nach Krankheitsbildern oder nach Patiententypen (Junge versus Alte, Aktive versus Passive, Compliance versus Non-Compliance etc.)

Unter der Oberfläche derartiger Klassifizierungen offenbaren sich jedoch stereotype, fest zementierte geschlechtsspezifische Unterscheidungen. Die wichtigste Unterscheidung lautet organisch versus vegetativ. Bei Männern verorten die Ärzte eher die „echten“, organisch verursachten Krankheiten, bei Frauen eher die vegetativen Erkrankungen. Darüber hinaus gelten Patientinnen häufig als komplizierter und „aufwendiger“, nicht zuletzt auch, weil sie oft besser informiert sind und den Ärzten gegenüber kompetenter und teils auch fordernder auftreten.

Diese stereotypen Vorstellungen funktionieren wie Wahrnehmungsfilter und können zu Bagatellisierungen und letztlich zu Abwertungen weiblicher Symptomatik führen. Und diese Haltung kann sich auch auf das ärztliche Verschreibungsverhalten auswirken. Zitat: „Männer wollen schon etwas Konkretes haben. Das Pflanzliche, Homöopathische ist eher was für Frauen und Kinder. Aber der Mann will etwas Stärkeres.“

Die befragten Ärzte zeigen im großen und ganzen nur wenig Bereitschaft, diese stereotype Haltung in Frage zu stellen. Alles soll so bleiben, wie es ist, entfaltet das etablierte Beziehungssystem zwischen Ärzten und Patientinnen doch seinen nicht zu übersehenden funktionalen und emotionalen Nutzen für die Beteiligten. Und es wird weiterhin stabilisiert durch die medizinische Ausbildung und die pharmazeutische Forschung.

Für die Kommunikation stellt sich nun die Aufgabe, diese festgefahrenen Strukturen aufzubrechen. Ansatzpunkt dafür bildet eine Neubewertung der Arzt-Patienten-Beziehung. Von den befragten Hausärzten wird häufig ausgeblendet, dass Frauen – schon rein ökonomisch betrachtet – eine besonders wertvolle Zielgruppe darstellen, die es an die Praxen zu binden gilt. Die Patientin als „gute Kundin“ zu sehen, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine für beide Seiten nützlichere Arzt-Patientinnen-Beziehung. Und die veränderte Bewertung der Beziehung wird weitere Veränderungsprozesse in Gang setzen, die offen machen für das „eigentliche Problem“.

Der Autor, Dr. Thomas Wind, ist Geschäftsführer des Instituts für Zielgruppenkommunikation (IfZ) in Heidelberg.
Web: www.ifz-online.de Email: th.wind@ifz-online.de

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