Marke und Markenkommunikation systemisch betrachtet

Studiert man die umfangreiche Literatur zum Thema Marke, so fallen zunächst Vielzahl und Vielfalt der Markendefinitionen auf, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten herausgebildet haben. Marke als Technik, Marke als Persönlichkeit, Marke als Image, Marke als mentale Struktur sind dabei nur ein paar der gängigsten Erklärungsansätze. Parallel dazu hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen: von einer Orientierung am Marken-Hersteller und -Absender hin zu einer Orientierung am Marken-Rezipienten.  

Die Marketingpraxis hinkt diesem Diskussionsstand entweder ein wenig hinterher, indem sie an aktiven Gestaltungsmöglichkeiten von Marken festhält: Marken werden gemacht, gemanagt, geführt. Dabei dominiert die Vorstellung, man müsse nur die richtigen Markenbotschaften mit ausreichendem Werbedruck senden, um sein Branding bei den Zielgruppen durchzusetzen, um ein erwünschtes Markenbild zu etablieren oder ein existentes Bild zu korrigieren. Das Markenpublikum spielt im zugrunde liegenden Sender-Empfänger-Modell die passive Rolle, es bildet den Resonanzboden für die Kommunikationsaktivitäten der Marken-Sender.
Oder die Marketingpraxis schießt übers Ziel hinaus und sucht – wie jüngst zu beobachten – ihr  Heil im Consumer Generated Marketing, nach dem Motto „jeder kann zum Sender werden“. 
 

Die skizzierten Sichtweisen von Marke relativieren sich, wenn man das Phänomen aus der Perspektive systemischer Marken- und Marktforschung betrachtet. Marken werden dann als Bedeutungssysteme erkennbar, die in ständigen Aushandlungsprozessen entwickelt und fortgeschrieben werden. Marken existieren nur durch Kommunikation, durch wechselseitige Fremdbeobachtung zwischen den beteiligten sozialen Systemen (z.B. Konsumenten, Unternehmen, Medien). Marken sind nicht, sondern sie werden. Marken sind emergent: sie tauchen auf und verändern sich ständig. Wandel und Dynamik sind die Regel, ein stabiler Marken-Kern ist schöne Illusion.  Daraus folgt: Um eine Marke wirklich fassen zu können, muss man die beteiligten Systeme und die Interaktionsprozesse zwischen ihnen kennen. Dabei stößt man unweigerlich auf das Problem gegenseitigen Verstehens der beteiligten Systeme, besitzen sie doch jeweils ihre spezifische Eigenlogik, weisen unterschiedliche Codes und Strukturen auf, sprechen unterschiedliche „Sprachen“.

Konventionelle Marken- und Marktforschung kann diese „harte Nuss“ nur schwerlich knacken, fragt sie doch schlicht Konsumentengruppen danach, wie sie eine Marke wahrnehmen, aggregiert die Antworten und leitet daraus Befunde darüber ab, wie die Marke sei. Marktforschung entdeckt dabei oft nur die Ostereier wieder, die sie zuvor versteckt hat.  

Stattdessen geht es um Verstehens-Verstehen, also darum zu verstehen, was die Konsumenten beobachten und verstehen, wenn sie eine bestimmte Marke wahrnehmen.  Systemische Markt- und Markenforschung ist somit Beobachtung zweiter Ordnung: Sie beobachtet, was die beteiligten Systeme beobachten bzw. nicht beobachten. Sie erkennt, auf welchen Unterscheidungen die Marken-Unterscheidungen beruhen. Sie rekonstruiert die Eigenlogiken, Codes und Strukturen der Systeme. Und sie identifiziert die Andockstellen für eine anschlussfähige Kommunikation mit den Zielgruppen.  Das Verstehens-Verstehen setzt sich in wirksamer Marken-Kommunikation fort: sie muss so gestaltet sein, dass die Zielgruppe versteht, dass sie verstanden wird. Das hat zur Bedingung, dass die Werbung die Zielgruppe verstanden hat, um sie adäquat ansprechen zu können. Und dass die Zielgruppe erkennt, dass sie von der Kampagne gemeint ist, und sich von ihr angesprochen fühlt.  

Der Autor, Dr. Thomas Wind, ist Geschäftsführer des Instituts für Zielgruppenkommunikation in Heidelberg. Web: www.ifz-online.de   

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