Das Thema Marke hat Hochkonjunktur. Marken haben eine enorme soziale und ökonomische Kraft. Starke Marken werden zum Wettbewerbsvorteil für Unternehmen und Institutionen. Deshalb haben auch Markenführung und Markencontrolling einen hohen Stellenwert als Marketingdisziplinen erlangt.
66 verschiedene Markenmodelle, die das Markenlexikon auflistet vom Brand Explorer und anderen tiefenpsychologisch orientierten Modellen über den Genetischen Marken-Code des Instituts für Markentechnik bis hin zur MarkenMatik von McKinsey lassen sich auf zwei Ansätze zurückführen: Markentechnik, die davon ausgeht, dass Marken machbar sind, wenn man nur die relevanten Marken-Treiber aus den Unternehmensleistungen heraus destilliert und wirkungsvoll kommuniziert. Und Markenpsychologie, die davon ausgeht, dass sich Marken in den Köpfen der Konsumenten herausbilden und man sie nur dort erkunden muss.
Derzeit ist allerdings auch ein Paradigmenwechsel im Nachdenken über Marken zu beobachten. Kritiker bemängeln an der Markentechnik, dass sie zu reduktionistisch verfährt und die Kundenseite zu wenig einbezieht. Und eine psychoanalytisch dominierte Markenpsychologie geht von nicht überprüfbaren Vorannahmen über Markenbilder und Markenkerne aus, sieht diese im individuellen oder kollektiven Unterbewusstsein verborgen und damit der direkten Beobachtung nicht zugänglich.
Das systemische Markenmodell liegt dazwischen und geht davon aus, dass Marken nicht nur in den Marketingabteilungen oder in den Werbeagenturen der Markenunternehmen gemacht werden und sich auch nicht allein in den Köpfen der Verbraucher formen. Marken konstituieren sich in einem Interaktionsprozess zwischen zwei Systemen, dem Markenanbieter und der Markenzielgruppe. Zwischen beiden Parteien bildet sich ein Feld der Markenkommunikation, in welchem vielfältige Kommunikationsakte ablaufen. Und beide Parteien beobachten das Feld, auf dem sich für sie Markenkommunikation abspielt. Aufgrund dieser Beobachtungen schaffen sie sich ihre eigenen systemspezifischen Konstruktionen von der Marke. Marke entsteht dann im Verlauf des Interaktionsprozesses als soziale Co-Konstruktion, als Marken-Konsens zwischen Markenanbieter und Markenzielgruppe. Das heißt auch, dass alle Aktivitäten der Markenkommunikation durch den Anbieter immer nur einen Versuch darstellen, von dem man nicht unmittelbar weiß, ob und wie er von der Zielgruppe wahrgenommen und bewertet wird.
Da sich die Markenkommunikation ständig weiter fortsetzt, sind Marken immer im Wandel, das heißt, Marken sind prinzipiell dynamisch. Im kommunikativen Aushandlungsprozess wird aber auch immer aufs Neue die temporäre Stabilität von Marke erzeugt. Marke verändert sich dabei von der Peripherie her und stabilisiert sich um ihren Sinnkern herum. Der Sinnkern einer Marke ist das Kondensat dessen, was die Marke definitiv von anderen vergleichbaren Marken unterscheidet, also der Unterschied, der den Unterschied macht.
Die Marken-Stabilisierung beruht auf der Ausrichtung an den Erwartungen der jeweils anderen Partei: Der Markenanbieter erwartet, dass die Markenzielgruppe von der Marke bestimmte Leistungen erwartet und handelt entsprechend. Die Markenzielgruppe entwickelt bestimmte Erwartungen an die Marke und erwartet vom Markenanbieter, dass er diesen Erwartungen gerecht wird. Wenn eine Marke die an sie gerichteten Erwartungen zuverlässig und dauerhaft erfüllt, bildet sich Markenvertrauen als zentrales Merkmal starker Marken heraus. Die Leitfrage systemischer Markenforschung lautet: Wer beobachtet was als Marke, wenn er Marke beobachtet? (vgl. Niko M. Hüllemann: Vertrauen ist gut Marke ist besser. Eine Einführung in die Systemtheorie der Marke, 2007).
Systemische Markenforschung untersucht die soziale Co-Konstruktion von Marken. Dazu werden methodisch drei Schritte vollzogen: (1) Im ersten Schritt wird die Anbieterseite exploriert: Von welchen Erwartungen der Zielgruppen geht man unternehmensintern aus? Und welche Maßnahmen werden auf dieser Basis mit welchen Intentionen geplant und umgesetzt? (2) Im zweiten Schritt wird auf Seiten der Zielgruppen erforscht, welche Aktivitäten des Anbieters überhaupt wahrgenommen und wie sie interpretiert und bewertet werden, das heißt, welche spezifischen Erwartungen an die Marke als erfüllt bzw. als nicht erfüllt erlebt werden. (3) Im abschließenden analytischen Schritt werden die interne und die externe Perspektive miteinander konfrontiert. Dabei werden die Berührungspunkte und Schnittmengen im Feld der Markenkommunikation identifiziert. Derartige Kontaktpunkte können in den unterschiedlichsten Interaktionssphären angesiedelt sein: am PoS ebenso wie auf der Unternehmenswebsite, in der Marken- und Produktwerbung ebenso im öffentlichen Meinungsbild über die Marken.
Systemischer Markenforschung geht aber nicht nur um die Identifikation der Berührungspunkte, sondern um ihre Bedeutungen für die Konsumenten und schließlich um ihren (positiven wie negativen) Beitrag zum Gesamtauftritt der Marke. Als Ergebnis beschreibt systemische Markenforschung in welcher Art und Weise und in welchem Ausmaß zwischen Markenanbieter und Markenzielgruppe in Bezug auf das Gesamterlebnis der Marken Einverständnis besteht bzw. an welchen Punkten sie aneinander vorbei kommunizieren.
Von Petra Fetzer und Dr. Thomas Wind. Die Autoren sind Geschäftsführer des Instituts für Zielgruppenkommunikation Heidelberg. Web: www.ifz-online.de