Wie Heike Schmitt einmal ihre internen Kunden nicht so recht zufrieden stellen konnte (Teil II)

Was bisher geschah: Heike Schmitt ist betriebliche Marktforscherin bei der Nixschmutz AG, einem großen Hersteller von Reinigungsgeräten. Mit einer qualitativen Grundlagenstudie zur „Psychologie der Raumpflege“ hat sie in Zusammenarbeit mit Iquar (zur Erinnerung: Institut für qualitative Reinigungsforschung) erforscht, wie die Zielgruppe bei der Raumpflege vorgeht und welche Probleme dabei auftauchen.

Das Forschungsprojekt hatte zum Ziel, Anregungen für die Entwicklung neuer Raumpflegeprodukte zu gewinnen. Trotz handwerklich einwandfreier Umsetzung durch das beauftragte Forschungsinstitut fanden nicht alle beteiligten Fachabteilungen ihre Fragestellungen beantwortet. Die konkrete Umsetzung der Ergebnisse in Produktinnovationen schien gescheitert, und Heike Schmitt hat nun den Ärger.

Was ist hier passiert und was hätten Heike Schmitt und das Institut tun können, um zufriedenere Kunden zu hinterlassen? Bei Iquar arbeiten höchst kompetente und erfahrene Mitarbeiter, die durchaus in der Lage sind, ein Forschungsprojekt solide und in bester Qualität durchzuführen. Dennoch kann es geschehen, dass die Forschungsbefunde von den Abteilungen zwar als interessante Information zur Kenntnis genommen, aber zu selten in unternehmerisches Wissen und damit in Produktneuerungen oder Kommunikation umgesetzt werden. Der Gap zwischen Information und Umsetzung ist meist zu groß. Dies liegt aber weder daran, dass Iquar nicht gut genug gearbeitet hat noch daran, dass die internen Kunden zu wenig von qualitativer Forschung verstehen. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, dass die Akteure der qualitativen Marktforschung nicht „anschlussfähig“ kommunizieren.

Innerhalb eines Forschungsprozesses interagieren verschiedene Akteure, die das Problem oft unterschiedlich definieren und dabei unterschiedliche Codes verwenden: die Codes der Produktentwickler, der Marketingleute, der Vertriebler. Denn jeder betrachtet und formuliert das Problem aus seiner eigenen, höchst persönlichen Perspektive. Dabei vermischen sich funktional motivierte Anforderungen mit individuellen Interessenslagen wie Macht, Anerkennung oder Selbstverwirklichung. Diese Interessenskonflikte und unterschiedlichen Erwartungen der Akteure bringen die Gefahr mit sich, dass sie – wenn sie unentdeckt bleiben – still und heimlich in den Forschungsprozess hineingetragen werden. Anschlussfähig kommunizieren bedeutet daher, davon auszugehen …

… dass selten Konsens über die anzustrebenden Forschungsziele herrscht,

… dass der Dissens – wenn nicht offen ausgesprochen – unbemerkt in den Forschungsprozess hineingetragen wird,

… dass die unausgesprochenen Interessen und Erwartungen der Projektbeteiligten identifiziert werden müssen.

Der Forschungsprozess muss dann konsequent an die identifizierten divergierenden Interessen und Erwartungen angekoppelt werden. Dies kann nur gelingen, wenn Forschungsprozesse so organisiert werden, dass erfolgreiche Kommunikation zwischen allen Akteuren in allen Prozessphasen hergestellt wird. Bezogen auf Heike Schmitt und ihr Forschungsprojekt sieht das dann folgendermaßen aus.

1) Einführung eines Reflektionsteams

Heike Schmitt trommelt alle entscheidungsrelevanten Akteure nämlich Frau Müller-Pfaffengrund von der Strategie, den R&D-Chef Herrn Maier sowie Herrn Becker aus der Produktentwicklung zu einem ersten Treffen mit Iquar zusammen. Hierin werden auf der Basis eines Gesprächsleitfadens, welchen das Iquar-Team in enger Abstimmung mit Heike Schmitt entwickelt hat, alle manifesten und latenten Interessen und Erwartungen sowie das Know-how (internes und externes Wissen, Intuitionen, Erfahrungen) der Beteiligten in Bezug auf die Forschungsfrage exploriert. Iquar analysiert und definiert das Problem und schält erst dann die eigentliche Fragestellung – das Problem hinter dem Problem – heraus.

2) Entwicklung des Forschungsdesigns

Die besondere Übersetzungsleistung bei der Entwicklung des Forschungsinstruments besteht dann darin, sowohl die inhaltliche Forschungsfrage als auch die Einzelerwartungen des Reflektionsteams zu berücksichtigen. Das bedeutet in unserem konstruierten Fall, dass mit dem Instrument sowohl die „großen Themen der Raumpflege“, die sich Herr Maier wünscht als auch eine „Putztypologie“, wie von Frau Müller-Pfaffengrund gefordert sowie eine Art „qualitatives Conjoint“ wie von Herrn Becker erwartet, erhoben werden müssen. Um diese Anforderungen zu erfüllen bedarf es besonderer Sorgfalt und erneut hoher kommunikativer Kompetenzen insbesondere in Gesprächsführungs- und Fragtechniken.

3) Prozess der Erkenntnisgewinnung

Das Reflektionsteam begleitet zumindest den Anfang des Erhebungsprozesses und erhält die Gelegenheit, direkt oder vermittelt durch das Marktforschungsinstitut seine individuellen Fragen an die Zielgruppe zu richten. Die Interviews oder Gruppendiskussionen mit dem Reflektionsteam dauern daher etwas länger als herkömmlich. Sie werden zunächst frei von Vorannahmen und eigenen Erwartungen geführt. Dann aber wird der Prozess für kurze Zeit unterbrochen. Das Reflektionsteam reflektiert entweder hinter der Scheibe oder auch im Beisein der Befragten über seine Beobachtungen. Das Ergebnis der Reflektion wird nochmals mit den Befragten erörtert. Die Phase des gegenseitigen Wissenstransfers wird somit um die Befragtenperspektive erweitert und insgesamt intensiviert.

4) Analyse

Bei der Analyse trennt das Marktforschungsinstitut die beobachteten Phänomene konsequent von der Interpretation. Aus allem, was die Befragten mitteilen (insbesondere Sprache, aber auch Körpersprache, Bilder und Artefakte), werden ihre Befindlichkeiten, Haltungen und Aspirationen erschlossen. Sowohl die Beobachtungen als auch deren Interpretation werden dokumentiert und sind daher jederzeit nachvollziehbar und überprüfbar.

5) Erkenntnisvermittlung

Bei der Darstellung der Befunde achtet das Marktforschungsinstitut darauf, dass die Ergebnisse im Unternehmen „anschlussfähig“ sind. Die Dokumentation und Präsentation der Ergebnisse haben dabei zwei wichtige Funktionen zu erfüllen: Eine Ordnungsfunktion und eine Anregungsfunktion. Bedeutsames muss zunächst von weniger Relevantem getrennt und auf den Punkt gebracht werden. Was bedeutsam ist und was nicht, entscheidet das Institut nicht allein und aus Sicht des Sozialforschers, sondern berücksichtigt dabei in hohem Maße die Unternehmensperspektive und die internen Codes.

Dies ist nur deshalb möglich und umsetzbar weil das Institut durch die intensive Zusammenarbeit im Reflektionsteam damit bestens vertraut ist. Darüber hinaus werden Hypothesen mit Neuigkeitscharakter aufgestellt, die neue Sichtweisen bieten und Lösungsoptionen aufzeigen. Hier ist das kreative Potenzial und die Expertise des Marktforschungsinstituts gefragt. An dieser Stelle werden eindeutige Schlüsse gezogen und entscheidungsrelevante Handlungsempfehlungen aus der Forscherperspektive abgegeben.

6) Der Unterschied, der den Unterschied macht

In einem Forschungsprozess, der so organisiert ist, findet ein hoher gegenseitiger Wissenstransfer statt. Derartig gemeinsam produziertes Wissen erhöht deutlich die Akzeptanz empirischer Studien im Unternehmen und erleichtert dadurch die sich anschließenden Umsetzungsprozesse.

One Response to “Wie Heike Schmitt einmal ihre internen Kunden nicht so recht zufrieden stellen konnte (Teil II)”

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