Wie Heike Schmitt einmal ihre internen Kunden nicht so recht zufrieden stellen konnte

Heike Schmitt ist betriebliche Marktforscherin bei der Nixschmutz AG. Nixschmutz ist ein großer Hersteller von Reinigungsgeräten für den Einsatz in Privathaushalten. Der Markt ist heiß umkämpft, und Nixschmutz steht entsprechend unter ständigem Innovationsdruck.Bei Produktneuentwicklungen wird die Marktforschung schon früh eingebunden. Sie soll dabei helfen, die Hausfrauen und Hausmänner und ihre Probleme beim Putzen besser zu verstehen. Auf dieser Grundlage werden Produkte entwickelt, die die Probleme lösen – frei nach dem Motto: Wo es ein Problem gibt, lässt sich auch eine Lösung verkaufen.

Heike Schmitt kommt gerade aus einem Meeting mit Frau Müller-Pfaffengrund von der Strategie, Herrn Maier, dem R&D-Chef des Unternehmens und Herrn Becker, dem Produktentwickler. Es wurden die Eckpunkte für ein neues Projekt festgezurrt. Es geht um den neuen Staubnix (Arbeitstitel), der gegen die zwei ernstzunehmenden Konkurrenzprodukte antreten soll. Geplant ist zuerst eine qualitative Grundlagenstudie zur „Psychologie der Raumpflege“. Dazu hat jede Fachabteilung ihre Anforderungen formuliert. Herrn Maier, den R&D-Chef interessieren „die neuen, großen Themen der Raumpflege, erst einmal unabhängig von konkreten Umsetzungen“. Er wünscht sich Weitblick und Visionen. Frau Müller-Pfaffengrund von der Strategie geht es auch weniger um konkrete Produkteigenschaften, sie interessiert, „ob es unterschiedliche Putz-Typen mit unterschiedlichen Emotionen gibt, die man ansprechen muss“. Und Herr Becker, zuständig für die Entwicklung des neuen Geräts, möchte dagegen ganz genau wissen, welche Funktionalitäten für die Verwender im Vordergrund stehen, denn „Nutzer wünschen sich 1000 Features, die sich teilweise widersprechen. Aber welche sind ihnen denn nun wirklich wichtig?“

Heike aus der Marktforschung packt den Strauß der Anforderungen der Kollegen in ein Briefingpapier und schickt dieses an das hoch spezialisierte Marktforschungsinstitut IquaR (Institut für qualitative Reinigungsforschung), mit dem man schon häufiger kooperiert hat. Die zuständige Institutsmarktforscherin entwickelt daraus ein Forschungsdesign, in dem alle Interessen und Erwartungen des Kunden berücksichtigt sind. Der Vorschlag des Instituts wird nochmals zurückgespielt, Heike und Kollegen schauen drüber und geben ihr OK. Die Dinge nehmen ihren Lauf, und alle haben sich verstanden. Haben sie das wirklich?

Heike glaubt, ihre internen Kunden verstanden zu haben. Und die Institutsmarktforscherin glaubt, Heike verstanden zu haben, denn man hat schon ein paar Projekte zusammen gestemmt. So schickt sie ihre gut geschulten Interviewer ins Feld, lässt 20 dreistündige Tiefeninterviews führen, die das Putzen nach allen Regeln der Fragekunst ausleuchten und kommt nach eingehender psychologischer Analyse zu folgendem Fazit: „Bei der Raumpflege dominieren unterschiedliche Antriebskräfte. Das kritische Bewusstsein fordert Kontrolle und Macht über den Raum, während das triebhafte Unterbewusste libidinös nach Zerstörung desselben verlangt. Je nach Raumpflege-Typus („Libidinöser Schmutzfink“ versus „Kontrollierender Putzteufel“) dominiert das Bewusste das Unterbewusste, also die Kontrolle die Lust oder umgekehrt. Nur wenn das Produkt durch eine Versöhnung von Kontrolle und Lust den Widerspruch aufzulösen weiß, hat es das Potenzial, sich erfolgreich am Markt durchzusetzen.“

Frau Müller-Pfaffengrund freut sich, denn ihre Erwartungen sind erfüllt. Herr Maier hat allerdings seine Mühen, die neuen, großen Themen zu erkennen und kritisiert die Studie als „viel zu esoterisch“. Und Herr Becker sucht vergeblich danach, in welche technischen Features er seine Energien und Ressourcen stecken soll, und solidarisiert sich mit dem Kollegen Maier. Und Heike? Sie hat am Ende den Ärger, denn echte Kundenzufriedenheit will sich bei den Kollegen nicht einstellen. Diese frei erfundene und zugegebenermaßen etwas überspitzte Geschichte soll die anspruchsvolle Rolle skizzieren, die betriebliche Marktforschung in Unternehmen einnimmt, ist doch der betriebliche Marktforscher letztlich der Schnittstellenmanager und als solcher für den Transfer von Marktinformationen in verwertbares Unternehmenswissen zuständig.

Dabei sitzt er regelrecht zwischen allen Stühlen. Seine internen Kunden haben oft ganz unterschiedliche Erfahrungen, Kompetenzen und Interessen. Werden die fachlichen bzw. die persönlichen Erwartungen nicht hundertprozentig erfüllt, entsteht Unzufriedenheit, die auch auf den betrieblichen Marktforscher als Projektverantwortlichen zurückfällt. Die meisten Marktforschungsinstitute halten sich bei der Untersuchungskonzeption relativ strikt an die mehr oder minder ausführlichen Vorgaben der betrieblichen Marktforschung, ohne sie groß zu hinterfragen. So können die ungelösten internen Divergenzen still und heimlich in den Forschungsprozess hineingetragen werden.

Diese Gefahr kann drastisch vermindert werden, wenn man vorab eine konsequente Auftragsklärung betreibt und dabei ergründet, wer die Stakeholder innerhalb des Projekts sind und welche Interessen und Ziele sie mit dem Forschungsvorhaben verbinden. Damit exploriert man erst die internen Erfahrungen und Erwartungen, bevor man sich der Exploration der Themen beim Konsumenten zuwendet. Das spiegelt den Grundansatz systemischer Marktforschung, welche das gesamte System der Interaktion zwischen Herstellern/Anbietern und Konsumenten aus der Metaperspektive unter die Lupe nimmt und damit auch zu einer Neuorganisation des Forschungsprozesses kommt, einer neuen Art der Kooperationen zwischen allen Projektbeteiligten intern und extern. Wie das konkret geht, lesen Sie in der nächsten Folge.

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