Author Archive

Marke und Markenkommunikation systemisch betrachtet

Donnerstag, August 30th, 2007

Studiert man die umfangreiche Literatur zum Thema Marke, so fallen zunächst Vielzahl und Vielfalt der Markendefinitionen auf, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten herausgebildet haben. Marke als Technik, Marke als Persönlichkeit, Marke als Image, Marke als mentale Struktur sind dabei nur ein paar der gängigsten Erklärungsansätze. Parallel dazu hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen: von einer Orientierung am Marken-Hersteller und -Absender hin zu einer Orientierung am Marken-Rezipienten.  

Die Marketingpraxis hinkt diesem Diskussionsstand entweder ein wenig hinterher, indem sie an aktiven Gestaltungsmöglichkeiten von Marken festhält: Marken werden gemacht, gemanagt, geführt. Dabei dominiert die Vorstellung, man müsse nur die richtigen Markenbotschaften mit ausreichendem Werbedruck senden, um sein Branding bei den Zielgruppen durchzusetzen, um ein erwünschtes Markenbild zu etablieren oder ein existentes Bild zu korrigieren. Das Markenpublikum spielt im zugrunde liegenden Sender-Empfänger-Modell die passive Rolle, es bildet den Resonanzboden für die Kommunikationsaktivitäten der Marken-Sender.
Oder die Marketingpraxis schießt übers Ziel hinaus und sucht – wie jüngst zu beobachten – ihr  Heil im Consumer Generated Marketing, nach dem Motto „jeder kann zum Sender werden“. 
 

Die skizzierten Sichtweisen von Marke relativieren sich, wenn man das Phänomen aus der Perspektive systemischer Marken- und Marktforschung betrachtet. Marken werden dann als Bedeutungssysteme erkennbar, die in ständigen Aushandlungsprozessen entwickelt und fortgeschrieben werden. Marken existieren nur durch Kommunikation, durch wechselseitige Fremdbeobachtung zwischen den beteiligten sozialen Systemen (z.B. Konsumenten, Unternehmen, Medien). Marken sind nicht, sondern sie werden. Marken sind emergent: sie tauchen auf und verändern sich ständig. Wandel und Dynamik sind die Regel, ein stabiler Marken-Kern ist schöne Illusion.  Daraus folgt: Um eine Marke wirklich fassen zu können, muss man die beteiligten Systeme und die Interaktionsprozesse zwischen ihnen kennen. Dabei stößt man unweigerlich auf das Problem gegenseitigen Verstehens der beteiligten Systeme, besitzen sie doch jeweils ihre spezifische Eigenlogik, weisen unterschiedliche Codes und Strukturen auf, sprechen unterschiedliche „Sprachen“.

Konventionelle Marken- und Marktforschung kann diese „harte Nuss“ nur schwerlich knacken, fragt sie doch schlicht Konsumentengruppen danach, wie sie eine Marke wahrnehmen, aggregiert die Antworten und leitet daraus Befunde darüber ab, wie die Marke sei. Marktforschung entdeckt dabei oft nur die Ostereier wieder, die sie zuvor versteckt hat.  

Stattdessen geht es um Verstehens-Verstehen, also darum zu verstehen, was die Konsumenten beobachten und verstehen, wenn sie eine bestimmte Marke wahrnehmen.  Systemische Markt- und Markenforschung ist somit Beobachtung zweiter Ordnung: Sie beobachtet, was die beteiligten Systeme beobachten bzw. nicht beobachten. Sie erkennt, auf welchen Unterscheidungen die Marken-Unterscheidungen beruhen. Sie rekonstruiert die Eigenlogiken, Codes und Strukturen der Systeme. Und sie identifiziert die Andockstellen für eine anschlussfähige Kommunikation mit den Zielgruppen.  Das Verstehens-Verstehen setzt sich in wirksamer Marken-Kommunikation fort: sie muss so gestaltet sein, dass die Zielgruppe versteht, dass sie verstanden wird. Das hat zur Bedingung, dass die Werbung die Zielgruppe verstanden hat, um sie adäquat ansprechen zu können. Und dass die Zielgruppe erkennt, dass sie von der Kampagne gemeint ist, und sich von ihr angesprochen fühlt.  

Der Autor, Dr. Thomas Wind, ist Geschäftsführer des Instituts für Zielgruppenkommunikation in Heidelberg. Web: www.ifz-online.de   

Der kleine Unterschied, die Medizin und die Pharmawerbung

Donnerstag, August 23rd, 2007

Der Mann ist die Norm in der Medizin, und die Frauen sind die Stiefkinder. Der Großteil aller klinischen Studien bei der Erprobung von Arzneimitteln wird mit männlichen Probanden durchgeführt. Die medizinische Versorgung von Frauen ist oft schlechter als die von Männern, weil selten beachtet wird, dass Frauen anders krank sind und deshalb anders behandelt werden müssen. Am Herzinfarkt, bisher fast ausschließlich als Männerkrankheit eingestuft, sterben vor allem Frauen, weil er bei ihnen zu spät erkannt wird. Der Mann bildet folgerichtig auch die Norm für die Pharmawerbung. Betrachtet man etwa die Anzeigen für verschreibungspflichtige Medikamente in den Ärztezeitschriften, so sieht man in 90 Prozent der Fälle Männer in den besten Jahren abgebildet. Es dominiert die Farbe Blau, und es werden Metaphern eingesetzt, die Kraft, Schnelligkeit, Vitalität vermitteln (Stier, Meer, Motorboot).

Die auf Pharma-Kommunikation spezialisierte Agentur Angela Liedler hat diesen uniformen Werbestil seit geraumer Zeit beobachtet und daraus die Frage abgeleitet, ob nicht nur die Medizin, sondern auch die Pharmawerbung weiblicher werden müsse?

Wir haben im ersten Schritt mit Mitteln der systemischen Kommunikationsforschung überprüft, ob bei den Ärzten – als Adressaten von Kommunikationsmaßnahmen der Hersteller verschreibungspflichtiger Medikamente – überhaupt ein Problembewusstsein bezogen auf die Thematik Frauen- und Männergesundheit ausgebildet ist.

Der überraschende erste Befund: Obwohl das Thema aktuell durchaus in der Fach-Community diskutiert wird, betonen die befragten Ärztinnen und Ärzte, dass Patientinnen und Patienten grundsätzlich gleich seien und gleich behandelt würden. Geschlechtsspezifische Unterschiede werden erst einmal negiert und andere Unterscheidungen in den Vordergrund gerückt, zum Beispiel Unterschiede nach Krankheitsbildern oder nach Patiententypen (Junge versus Alte, Aktive versus Passive, Compliance versus Non-Compliance etc.)

Unter der Oberfläche derartiger Klassifizierungen offenbaren sich jedoch stereotype, fest zementierte geschlechtsspezifische Unterscheidungen. Die wichtigste Unterscheidung lautet organisch versus vegetativ. Bei Männern verorten die Ärzte eher die „echten“, organisch verursachten Krankheiten, bei Frauen eher die vegetativen Erkrankungen. Darüber hinaus gelten Patientinnen häufig als komplizierter und „aufwendiger“, nicht zuletzt auch, weil sie oft besser informiert sind und den Ärzten gegenüber kompetenter und teils auch fordernder auftreten.

Diese stereotypen Vorstellungen funktionieren wie Wahrnehmungsfilter und können zu Bagatellisierungen und letztlich zu Abwertungen weiblicher Symptomatik führen. Und diese Haltung kann sich auch auf das ärztliche Verschreibungsverhalten auswirken. Zitat: „Männer wollen schon etwas Konkretes haben. Das Pflanzliche, Homöopathische ist eher was für Frauen und Kinder. Aber der Mann will etwas Stärkeres.“

Die befragten Ärzte zeigen im großen und ganzen nur wenig Bereitschaft, diese stereotype Haltung in Frage zu stellen. Alles soll so bleiben, wie es ist, entfaltet das etablierte Beziehungssystem zwischen Ärzten und Patientinnen doch seinen nicht zu übersehenden funktionalen und emotionalen Nutzen für die Beteiligten. Und es wird weiterhin stabilisiert durch die medizinische Ausbildung und die pharmazeutische Forschung.

Für die Kommunikation stellt sich nun die Aufgabe, diese festgefahrenen Strukturen aufzubrechen. Ansatzpunkt dafür bildet eine Neubewertung der Arzt-Patienten-Beziehung. Von den befragten Hausärzten wird häufig ausgeblendet, dass Frauen – schon rein ökonomisch betrachtet – eine besonders wertvolle Zielgruppe darstellen, die es an die Praxen zu binden gilt. Die Patientin als „gute Kundin“ zu sehen, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine für beide Seiten nützlichere Arzt-Patientinnen-Beziehung. Und die veränderte Bewertung der Beziehung wird weitere Veränderungsprozesse in Gang setzen, die offen machen für das „eigentliche Problem“.

Der Autor, Dr. Thomas Wind, ist Geschäftsführer des Instituts für Zielgruppenkommunikation (IfZ) in Heidelberg.
Web: www.ifz-online.de Email: th.wind@ifz-online.de